A Glotzn hobn´s
oder Amtshandlung in der Leopoldstadt in Wien
Eine persönlich erlebte Begebenheit, so etwas läßt sich in dieser Perfektion nicht erfinden, die wortwörtlich hier wiedergegeben wird.
Äußere Situation: Seitengasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk, beidseitig parkende Autos (siehe untenstehende Anmerkung), zwei freie Parklücken, herumschlenderndes Wacheorgan, parkplatzsuchender Lenker eines PKW, heißer Samstag im Juni, Krawatte und Anzug, ja, heißer Samstag in Wien, Versammlungssamstag in der Böcklinstraße.
Anmerkung: Wenn in Wien Autos auch reihenweise parken, bedeutet dies noch lange nicht, daß da, wo die PKW parken, das Parken auch erlaubt ist. Meist bedeutet es nur, daß in diesem Bereich seitens der Exekutive keine „Aktion scharf“ durchgeführt wird. Das Risiko für den „Gscherten“ (Nichtwiener) besteht darin, ob die einem so verdächtig freien Platz benachbarten Parker auch sicher wissen, daß gerade keine „Aktion scharf“ im Gange ist.
Innere Situation: Etwas eiliger Ratgeber einer oberösterreichischen Gemeinde, fünfzehn Minuten vor Beginn einer Konferenzversammlung, Zweifel, ob das Wacheorgan über die beiden freien Parklücken befragt werden soll (siehe auch vorangegangene Anmerkung), nicht wegen des Zweifels aber der großen Hitze wegen äußerlich und innerlich schwitzender und nach zweistündiger Autofahrt sich nach Bewegung sehnender Lenker (letzterer Wunsch ist auch unverzüglich in Erfüllung gegangen) sich aber doch auch auf die kommende Versammlung freuend.
Entscheidung: Wacheorgan wird befragt!
Lenker, in weiterer Folge nur mit „L“ genannt frägt durch das offene Seitenfenster:“ Darf ich mich da (deutet auf eine Parklücke) hinstellen?“
Wacheorgan, in weiterer Folge nur mit „W“ bezeichnet (kurze Pause, aber dann amtlich):“— Se scho.“
L, etwas mißtrauisch, ob es sich nicht doch um eine Falle handelt:“ — und mein Auto auch?“
W zuckt die Achseln und nickt leicht.
Das KFZ rollt nach dieser recht deutlichen Erklärung in die Parklücke, L steigt aus, und während W langsam und mit steifem Gang um das Auto schreitet, nimmt L seinen Aktenkoffer heraus und schließt sein Fahrzeug ab.
W, um einen Kopf größer als der Lenker, stellt sich breitbeinig vor diesen hin und stellt mit etwas herabgezogenen Mundwinkeln behördlich fest: „Entweda se tauschn den Rafn, oda i montier ihna de Nummerntofen o .“
L, etwas verwirrt:“ Ja wieso denn?“
W, mit bedrohlich erhobener Stimme: „A Glotzn hobn´s!!“
L, immer noch überrascht, greift sich unbewußt auf den Kopf und fragt:“–Na, wo denn bitte?“
W, mit ärgerlicher Stimme und mit beiden Armen deutend:“ Nau, do vurn rechts!“ und setzt unmittelbar danach mit hämischen Grinsen fort:“ Ah, wissn des denn goa net?“
L beugt sich vorne über das ausgeschwenkte rechte Vorderrad und entdeckt tatsächlich auf der Innenseite auf dem nicht ganz einjährigem Reifen eine sehr profilarme Stelle.
W, triumphierend:“Hobn´s an uandlichen Reserverafn?“
L, ebenfalls triumphierend:“Ja, natürlich“
L zieht sich das Sakko aus, legt es auf den Aktenkoffer und krempelt sich die Hemdsärmel auf, W zückt seinen Block, L öffnet die Motorhaube, um den Wagenheber zu entnehmen und versucht danach, den immer klemmenden Reserveradverschluß zu öffnen. Dies gelang nach großer Anstrengung, viel Schweiß und unter amtlicher Aufsicht.
W: „Zeign´s ma ihre Papiere.“
L wischt sich die mittlerweile schmutzigen Hände ab und entnimmt dem Sakko ein dickes Etui, in dem alle für das Lenken eines Kraftfahrzeuges notwendigen Bescheinigungen enthalten sind, gibt es dem Wacheorgan und sagt:“ Da ist alles drinnen.“
W nimmt zögernd das Etui und fragt grinsend, aber doch deutlich warnend: „Hobn´s do eh nix Vabotenes drin, wos i net sehn derf?“
L verneint und löst die Radmuttern. W beginnt im Etui zu blättern und frägt dann: „Sans vaheiratet?“
L: “ Hat das was mit meinem Vorderreifen zu tun?“
W, etwas beleidigt, aber dann um so belehrender:“ Na, nur mit dem Strofausmaß.“
L:“ Dann sagt ich Ihnen auch, daß ich vier Kinder habe.“
W, unüberhörbar überrascht:“ —Ah haaa!“
Während L gerade den Wagen weiter hochkurbelt, tritt ein Dritter auf das Schlachtfeld, ein torkelnder Urwiener, der durch zuviel Alkoholgenuß sein goldenes Wienerherz fast sichtbar außen trägt.
Er neigt sich langsam zu dem Wacheorgan, das sich mit leicht verzogenem Gesicht abwendet, und sagt mit schwerer Zunge, dabei auf L deutend: “ Herr Inschpekta, lossn´s doch den oarmen Teufe do in Rua, segn´s net, wia der do oarbeit und schwitzt, schreibn´s eam net auf.“
W, der sich gegen den immer näherrückenden Betrunkenen bereits mit den Händen wehrt, sagt:“ Geh auf dei Baunk zruck und schlof dein Rausch aus.“ Und dann deutlich schärfer:“ I hob do a Amtshandlung!“
Der Betrunkene hat Mühe damit, W zu verstehen, und wiederholt seine Bitte.“ Oba geh, Herr Inschp- Inspektoa, lossn´s do den in Rua, dea is jo so aom, weu er so oabeiten muaß—“
W mit drohender Stimme:“Vaschwind auf dei Baunk, sunst schreib i di a no auf!!“
Der Betrunkene ist von dieser Drohung schwer beeindruckt, aber es dauert eine Weile, bis sich dies auch auf seine Körperfunktionen auswirkt. Dann torkelt er vermutlich in Richtung seiner Parkbank weg. Nach einigen Metern dreht er sich nochmals vorsichtig und am ganzen Körper schwankend um und lallt:“ Oba gehns, Herr Inschpektor—“
Eine Drohgebärde des W überzeugt ihn aber von der Ablehnung seines verbalen Einspruches, und er entfernt sich.
L hat inzwischen den Reservereifen aufgesetzt und zieht die Radmuttern an. Das Wacheorgan hat den Reservereifen mit kritischem Blick amtlich geprüft und, da kein ablehnender Bescheid ausgesprochen wurde, auch genehmigt.
L kurbelt den Wagenheber herunter und verstaut ihn, immer noch unter amtlicher Kontrolle, im Motorraum, schließt den Deckel und bemüht sich den „glotzaten Rafn“ in das Reserveradfach zu schieben. Da dies schwer geht, hilft das Wachorgan völlig freiwillig und ohne gestempeltes Ansuchen mit einem kräftigen Fußtritt nach, worauf der Reifen in das Fach gleitet.
L erhebt sich, wischt notdürftig seine Hände ab und hängt sein Sakko über die Schultern.
W stellt sich vor L auf, hebt seinen rechten Arm, streckt den Zeigefinger aus und bewegt ihn vor und zurück. Dabei spricht er mit fast majestätischer Stimme.“Der Himmel möge sie strofn, weu´s mit an glotzatn Rafn gfoan san.!“
Dann gibt er L das Etui zurück. Dieser versteht, daß das „Strofausmaß“ auf eine amtliche Verwarnung geschrumpft ist und bedankt sich bei dem Wachorgan, daß er den Mangel am Vorderrad entdeckt hat.
L weist darauf hin, daß er am selben Tag noch 200 km nach Hause fahren muß und daß ein beschädigter Reifen zu einem Unfall führen könnte.
Durch das Gesicht des Wacheorganes geht ein unbeschreibliches Lächeln, da er sich seiner wahrscheinlich lebensrettenden Amtshandlung bewußt wird. Aber auch ein „Nau seng´s“ ist in seinem Lächeln enthalten. Er entfernt sich, offensichtlich sehr befriedigt und amtlich schreitend. Nach einigen Metern dreht er sich, ähnlich wie der Betrunkene, um und sagt richtig gemütlich und mit einem kurzen Aufziehen mit der Nase:“Wiss´n eh, a blaua Briaf kummt net zu ihna ham.“
Der Lenker geht nachdenklich zu seiner Versammlung, die schon längst begonnen hat. Er schleicht auf Zehenspitzen die Stiegen hinauf und öffnet ganz langsam die Türe zum Versammlungssaal, die der anwesende Türdienst anschließend mit dezentem Knall wieder schließt. Auf dieses Signal drehen sich viele Anwesende zur Türe um. Das Zuspätkommen mißbilligende Blicke treffen ihn wie Pfeile, aber doch kommt in sein Gesicht ein zufriedenes und dankbares Lächeln. Die vom Wacheorgan verordnete himmlische Strafe ist doch recht milde ausgefallen.
norbert willmann