Wie das Glück in die Welt kam

Als sich ein „E“ und ein „I“ in der Wüste trafen, fanden sie Gefallen aneinander. Das „I“, weil es sich im „E“ viermal wieder fand, das „E“, weil es bei einem bestimmten Blickwinkel zu einem „I“ wurde. Sie beschlossen beisammen zu bleiben, trotz der sofort entstandenen Diskussion um das Erstseiensrecht von Ei und Henne.

Dieses Streitgespräch wurde je unterbrochen, als sie auf ihrer Reise ein „N“ trafen. Es war beiden sofort sympathisch. Dem „I“ gefiel das „N“ aus dem selben Grund, aus dem es am „E“ Gefallen fand, dem „E“ gefiel das „N“ wegen des interessanten schiefen Elements in der Mitte und außerdem wurde die Ei-Henne-Frage durch das „N“ nicht mehr relevant. Sie wanderten zu dritt weiter.

Am Rande der Wüste kamen sie zum Meer. Brausendes, äußerst tosendes, sausendes Wasser machte das „EIN“ nass. Bei so vielen Worten mit mindestens zwei „S“ dachte sich ein „S“, dass es wohl nicht sehr fehlen würde und fragte das „EIN“, ob es sich anschließen dürfe.

Die drei Buchstaben, alle nur aus geraden Linien bestehend, waren über das rundliche „S“ sehr erfreut und nahmen es gerne auf. Hinten dran aber ergab sich, oh Schreck, die erste Ziffer. Sie konnte außerdem auch durch zwei einfache Gerade, die noch dazu in einem aggressiven, spitzen Winkel zueinander standen, dargestellt werden. Das wäre wohl das Ende der Vier gewesen und dies wollten sie bestimmt nicht. So stellten sie das „S“ voran.

Damit ist allerdings die erste Zweideutigkeit entstanden. Es war ihnen nicht recht, ja es war geradezu erschrecklich, dass sie als Possessivpronomen, also als besitzanzeigendes Fürwort die Existenzberechtigung für Advokaten, Notare, Richter und Rechtsanwälte darstellten, aber die Möglichkeit, auch als abstrakter Begriff verstanden zu werden, der die Gedanken in ungeahnte Weiten schweifen ließ, machte die vier Buchstaben richtig stolz.

Hinter einem Felsen lauerte ein „CH“, gepaart durch seine absolute Gegensätzlichkeit. Das alles umschließen wollende „C“ konnte das an allen Ecken spitze „H“ nicht umklammern, blieb darüber enttäuscht aber beharrlich immer in unmittelbarer Nähe, ja fast auf Tuchfühlung bei seinem Wunschtraum.

Als das „SEIN“ in Gedanken über sich selbst verloren, weltfremd, ja fast entrückt, dahinschwebte, kam es zufällig bei dem Felsen vorbei. Das lange auf eine Gelegenheit wartende „CH“ erschreckte das „SEIN“ mit einem lauten, langen „chchchchchchchch“. Das „SEIN“ war so erschüttert, dass das „S“, das aufgrund seiner Rundungen ohnehin keinen besonders guten Halt am „E“ von „EIN“ hatte, kurze Zeit abrutschte. Diese Chance nahm das „CH“ wahr und fügte sich, ohne Frage, einfach ein.

Der so entstandene „SCHEIN“ war im Zusammenhang mit Licht und Sonne ein sehr konkreter Begriff, der angenehm und wichtig war. Allerdings hatte er auch eine sehr zwielichtige und eher ungewisse Bedeutung. Wütend wollte das Wort ein wichtiges, wahrhaftige Wirklichkeit bedeutendes Wort werden. Ein „W“ wäre die Lösung.

In einiger Entfernung hüpfte ein „M“ fröhlich und Salto Mortale schlagend umher. Es war wohl nur ein Buchstabe, das „M“, aber in schwindelnden Höhen wurde es beim Salto zu einem „W“. Just in einem solchen Moment störte der „SCHEIN“ das „M“ bei der sportlichen Betätigung und nahm das vertikal gespiegelte „M“ einfach an der richtigen Stelle auf.

Das „SCHWEIN“ war entstanden. Die eingangs erwähnte Diskussion, wer wohl zuerst da war, das „EI“ oder das „SCHWEIN“ kann nicht aufkommen, da einerseits das Schwein zwar kein Ei legt und doch ist aufgrund dieser Geschichte auch eindeutig bewiesen ist, dass das „EI“ der Ursprung war. Das „SCHWEIN“ war nun glücklich — und das ist ja schließlich wirklich wichtig, oder?

 

norbert